Statuen von Mönchen beim Sammeln von Almosen
Statuen von Mönchen

 

Trage den Frieden in die Welt

Einmal im Jahr trafen sich in einem entlegenen tibetischen Tal die Abgesandten der umliegenden Klöster. Sie versammelten sich in einem Tempel, um ihre Angelegenheiten zu besprechen und den Frieden im Tal und den umliegenden Bergen zu wahren oder wiederherzustellen. Denn es gab immer viel Streit: um das Land, die Bauernschaften, die Einnahmen, die Yak-Herden, die Überlieferungen und auch um theologische Differenzen, denn die einzelnen Orden folgten unterschiedlichen Linien und deren Gründern.

Es ging seit Jahrhunderten um Macht, Einfluss, Reichtum und auch um ein geistiges sich Messen der Schulen mit gelehrten Redewettkämpfen. Es gab endlose Debatten mit viel Geschrei und nicht selten waren in der Vergangenheit die Rivalitäten am Ende auch mit Hieben, Tritten und Holzknüppeln ausgetragen worden. Die größeren Klöster, die mehr Mönche mitbrachten, konnten sich leicht durchsetzen oder diejenigen Kleineren, die eine entschlossene und gut trainierte Schar dabei hatten. 

Eigentlich liefen die Dinge seit Jahrhunderten immer ähnlich wenn nicht gleich ab. Ein wenig interessanter war es, wenn neue Äbte gewählt worden waren und erstmals zu den Jahrestreffen dazu kamen. Auch dieses Mal schien alles so abzulaufen, wie immer, diesmal vielleicht noch etwas heftiger. Man geriet in Streit, wie man der chinesischen Besatzungsmacht begegnen sollte. Die Meisten befürworteten eine friedliche Koexistenz, beschworen aber auch die Notwendigkeit der inneren Einigkeit und der friedvollen Zusammenarbeit aller Klöster. 

Am Ende aber kam es wie so oft sozusagen nach dem schlechten alten Brauch zu Tumulten und Schlägereien. Die einen wollten die anderen zum Frieden brüllen, die anderen zum Frieden prügeln. In dem Durcheinander ging zunächst unter, dass ein ganz neuer und noch gar nicht so in Ehren ergrauter Abt mit einer kleinen Schar Mönche von einem sehr abgelegenen kleinen Kloster gekommen war, das keine bedeutende Machtposition, keine Reichtümer und keine guten Kämpfer hatte und auch keine brillanten Theologen. Der Abt und seine Begleiter hatten fast die ganze Zeit über in schweigender Meditation dagesessen, als sich zwei Fraktionen übermäßig erhitzten und einen handfesten Streit vom Zaun brachen. 

Um den neuen Abt blieb es ruhig. Nicht allzu lange und einer der Streithähne wurde durch einen Knüppelschwinger der Gegenseite hart am Kopf getroffen. Er stürzte mit blutender Schädelwunde bewusstlos zwischen den jungen schweigenden Abt und dessen Begleiter. Die Streitenden waren eine Minute erschrocken, aber lange noch nicht bereit, das Kämpfen aufzugeben. Im Gegenteil, einige wurden nach einem kurzen Innehalten nur noch wütender, besonders die, aus deren Reihen der Getroffene zu Boden gegangen war. 

Da begann der junge Abt mit ruhiger, tiefer und doch laut und kräftig klingender Stimme buddhistische Sutren anzustimmen und seine Begleiter fielen mit ein. Ein Schüler des Abtes legte die Hand auf den Bewusstlosen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er erwachte aus tiefer Ohnmacht und setzte sich noch taumelnd und blutend hin, um dann auch in den Gesang einzustimmen. Die Anhänger des meditierenden und die Sutren singenden Abtes ließen rhythmisch Zimbeln und Klanghölzer ertönen. Immer mehr Mönche auch von den streitenden Parteien beendeten die Auseinandersetzungen und setzten sich im Schneidersitz auf den Boden, um in die Gebetsgesänge einzustimmen. 

In nicht einmal zehn Minuten gab es keine Kontrahenten mehr, nur singende und die Heiligen Texte rezitierende Mönche. Nur die beiden Äbte der Streitparteien funkelten noch etwas böse mit den Augen. Dann wurde es nach dem letzten Zimbelschlag still. Nach einer Weile sagte einer der am Streit beteiligten Äbte, dass bei handfesten Interessenkonflikten und genereller Unfriedlichkeit wenn nicht gar Feindseligkeit Singen und Beten keine Lösung sei. Alle wollen Frieden, jedenfalls seine Leute, dafür müssten aber erst die gerechten Ansprüche seiner Seite befriedigt werden. 

Da sagte der junge Abt: „Niemand wird außen Frieden finden oder gar stiften, der den Frieden nicht tief in sich spürt und zwar ausschließlich Frieden, auch mit sich selbst und seinen bösen Gedanken. Der innere Unfriede findet tausend äußere Gründe für Streit, der innere Friede keinen einzigen. Die friedfertig Meditierenden sind wie die Gebetsfahnen im Wind, der ihren ruhigen Geist in jeden Winkel der unruhigen Welt ausbreitet.“

(Quelle: https://www.facebook.com/michael.schlicksbierhepp.90)

 

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